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Wohnungsnot in Deutschland | Vonovia-Boss: "Mietpreisbremse sozial blind"


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Boss des größten Wohnungskonzerns
"Das ist doch falsch!"


Aktualisiert am 26.04.2024Lesedauer: 7 Min.
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Vonovia-Chef Rolf Buch: Die Mietpreisbremse sollte reformiert werden.Vergrößern des Bildes
Vonovia-Chef Rolf Buch: Die Mietpreisbremse sollte reformiert werden. (Quelle: Carsten Koall/t-online)

Die Wohnungsnot in Deutschland hat das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten, sagt Vonovia-Chef Rolf Buch. Warum deshalb die Mietpreisbremse nicht mehr für Reiche gelten sollte und wo er dieses Jahr doch noch Wohnungen bauen will.

Er leitet Deutschlands größtes Wohnungsunternehmen und kämpft wie kaum ein anderer mit der Krise am Immobilienmarkt: Wegen der gefallenen Häuserpreise musste Vonovia-Chef Rolf Buch im vergangenen Jahr einen Milliardenverlust verbuchen. Zudem hat sein Unternehmen den so dringend benötigten Bau neuer Wohnungen gestoppt, weil die Kaltmiete, die er zur Finanzierung aufrufen müsste, zu hoch wäre, als dass sie sich genügend Mieter leisten können.

t-online hat Buch im Berliner Newsroom zum Interview getroffen. Im Gespräch erzählt Buch von teils skurrilen Blüten der Wohnungsnot in Deutschland und erklärt, was die Politik tun kann, um für mehr Neubau zu sorgen.

t-online: Herr Buch, 2023 war für Vonovia ein Seuchenjahr. Wie oft haben Sie gedacht: "So, jetzt reicht's, ich schmeiße hin"?

Rolf Buch: Ehrlich gesagt, kein einziges Mal. 2023 haben wir das umgesetzt, was sich bereits mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine 2022 angekündigt hatte. Die Zinsen sind in einer nie dagewesenen Dynamik angestiegen und wir haben sehr konsequent auf die Sicherung unserer Liquidität geachtet und entsprechende Maßnahmen ergriffen, auch schmerzhafte. Es gab für uns alle sehr viel zu tun.

Insgesamt haben Sie 6,8 Milliarden Euro Miese gemacht.

Das haben wir Anfang des vergangenen Jahres in dieser Größenordnung in der Tat nicht kommen sehen. 20 Prozent Bruttowertverlust, netto 14 Prozent unserer Bilanzsumme: Das war schon für die gesamte Branche heftig. Uns war allen klar, dass es einen Werteverfall bei den Immobilien geben würde. Aber nicht in dieser Ausprägung. Jahrelang haben wir Buchgewinne gesehen, jetzt haben wir Buchverluste. Aber diese 14 Prozent netto sind ja nicht weg. Es sind Verluste auf dem Papier. Denn unser Kerngeschäft Vermietung ist kerngesund.

Dennoch: Wie fühlt sich das an, wie viele Nächte haben Sie deshalb wach gelegen?

Das war aufreibend, auch emotional war es anstrengend. Natürlich hat mich das sehr beschäftigt. Aber wir als Management insgesamt haben unternehmerische Verantwortung gesehen. Die wir, wie ich finde, am Ende doch recht gut gemeistert haben. Anfang des Jahres haben wir versprochen, 2 Milliarden Euro durch Immobilienverkäufe einzunehmen, erreicht haben wir dann 4 Milliarden Euro.

Eine Belastung für Ihr Unternehmen dürfte dabei auch die Übernahme des Konkurrenten Deutsche Wohnen gewesen sein, den Sie 2021 geschluckt haben. Würden Sie das mit dem Wissen von heute noch einmal so machen?

Man geht immer schlauer aus der Krise raus als rein. Der Ukraine-Krieg, Inflation und Zinsanstieg und die Abwertung der Immobilien waren so nicht vorhersehbar. Sicherlich hätten wir die Transaktion mit dem Wissen von heute etwas anders strukturiert. Vermutlich hätten wir mehr Eigenkapital durch eine Kapitalerhöhung eingebracht und weniger Schulden für den Kauf aufgenommen, die uns jetzt belasten. Der Zusammenschluss mit der Deutsche Wohnen war aber richtig und unterstützt unsere Strategie.

Sie haben vergangenes Jahr den Bau von 60.000 neuen Wohnungen vorerst gestoppt. Wann werden Sie die bauen?

Diese Zahl muss ich erläutern: Vonovia besitzt Grundstücke, die insgesamt so groß sind, dass darauf potenziell 60.000 Wohnungen entstehen könnten. Das heißt aber nicht, dass wir immer schon Baugenehmigungen hätten oder dass wir den bereits begonnenen Bau von Häusern gestoppt hätten, im Gegenteil: Wir haben alle angefangenen Baustellen erfolgreich abgeschlossen, insgesamt 2.400.

Und wann starten Sie den Neubau wieder?

Wir werden auch dieses Jahr Bauprojekte in ähnlicher Größenordnung fertigstellen. Wie andere Wohnungsunternehmen auch fangen wir dann wieder an zu bauen, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.


Quotation Mark

Wir sehen vom Neubau so lange ab, bis die Bedingungen besser sind.


Rolf Buch


Wo werden diese Wohnungen entstehen?

Natürlich ist Neubau eher in Städten und Lagen realistisch, wo schon heute höhere Mieten um die 20 Euro pro Quadratmeter normaler sind. Denn das muss man heutzutage mit dem Neubau einnehmen – sonst lohnt sich das nicht. Das ist zum Beispiel in Süddeutschland eher der Fall als etwa in Berlin.

20 Euro Kaltmiete pro Quadratmeter ist für viele Menschen kaum bezahlbar. Wie kommen Sie auf einen so hohen Preis?

Im Neubau kostet der Quadratmeter inklusive Grundstück aufgrund zahlreicher staatlicher Auflagen, gestiegener Materialkosten und gestiegener Zinsen rund 5.000 Euro. Zur Finanzierung und Deckung der Verwaltungskosten brauchen Sie um die fünf Prozent dieser Summe pro Jahr, macht 250 Euro. Die wiederum geteilt durch zwölf Monate ergibt eine kalte Monatsmiete von rund 20 Euro pro Quadratmeter.

Wofür Sie in Städten wie Berlin kaum einen Mieter finden dürften.

Exakt. Das funktioniert nicht. Und es ist auch nicht überall sinnvoll, die letzten Grundstücke mit teuren Wohnungen zu bebauen, die niemand bezahlen kann. Deshalb sehen wir vom Neubau so lange ab, bis die Bedingungen besser sind.

Ihre Bestandsmieter zahlen in der Regel weit weniger für ihre Wohnung. Werden Sie denen die Mieten dieses Jahr weiter erhöhen?

Erst einmal: Der Mietmarkt in Deutschland ist stark reguliert und das ist auch gut so. Und um Ihnen eine Größenordnung zu geben: Unsere Miete in Deutschland liegt bei rund 7,60 Euro. Die Mieten folgen der Logik des Mietspiegels, der immer zeitversetzt greift: Er berechnet sich alle zwei Jahre neu und bezieht in einem gewissen Umkreis automatisch die Höhe der Mieten in den vergangenen sechs Jahren ein. Und hier sorgen die Neuvertragsmieten für einen Anstieg. Das ist die Folge der großen Wohnungsnot in vielen Städten. Die Bevölkerung wächst und somit auch der Bedarf an Wohnungen. Die neuesten Schätzungen gehen für Berlin von einem Zuwachs von 400.000 Menschen in den nächsten 15 Jahren aus – das wäre mehr als die Einwohnerzahl von Bochum.

Wie hoch werden die Mieten denn steigen?

Das ist von Stadt zu Stadt verschieden. Ich erwarte, dass der prozentuale Anstieg in der Größenordnung der Inflationsrate liegen wird.

Und Sie meinen, das werden sich alle Ihre Mieter leisten können?

Bislang gibt es keine Anzeichen für das Gegenteil. Unsere Mieterinnen und Mieter geben im Durchschnitt 25 Prozent ihres Einkommens für ihre Miete aus. Wir schreiben inzwischen in jeden Brief, der eine Mieterhöhung ankündigt, sehr deutlich hinein, dass sich Mieter bei individuellen Härtefällen melden können, und wir stellen fest, dass die Anfragen zurückgehen. Und für diejenigen, die sich melden, finden wir in den meisten Fällen eine Lösung. Das gilt auch für die zuletzt stark gestiegenen Heizkostenabrechnungen, die für uns nur durchlaufende Posten sind. Mir ist das sehr wichtig, denn wir haben als Unternehmen auch eine gesellschaftliche Verantwortung.

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Solche Töne dürften manch einen Ihrer Mieter überraschen.

Ich hoffe nicht, denn es ist unsere Verantwortung, dass unsere Mieter kein Problem haben, sich eine Wohnung bei Vonovia leisten zu können. Unser Geschäft ist an Deutschland gebunden. Wir betreiben keine Fabriken, die sich ab- und in anderen Ländern wieder aufbauen lassen. Unsere Wohnhäuser stehen hier. Wir sind angewiesen auf die Stabilität und das Funktionieren der Gesellschaft.

Wie sehr droht diese Stabilität durch die Wohnungsnot Risse zu bekommen?

Das ist eine große Gefahr. Wenn ich darf, würde ich dazu gern eine persönliche Anekdote erzählen.

Bitte.

Ich habe eine Tochter, die ist jetzt 25 Jahre alt, hat studiert, einen tollen Abschluss gemacht und einen recht gut bezahlten Job angefangen. Dafür hat sie in Frankfurt eine Wohnung gesucht. Nicht bei Vonovia – das geht aus Compliance-Gründen nicht –, sondern mithilfe eines Maklers. Es dauerte ein bisschen, dann aber hat der für sie etwas gefunden. Als sie schließlich den Mietvertrag unterschreiben wollte, sagte die Vermieterin: An Berufsanfänger wolle sie nicht vermieten, den Vertrag müsse ein Elternteil unterschreiben. Woraufhin ich allen Ernstes der Vermieterin meinen Gehaltsnachweis schicken musste, um die Wohnung für meine Tochter anzumieten.

 
 
 
 
 
 
 

Eine bemerkenswerte Geschichte.

Bemerkenswert, ja, aber nicht lustig. Denn das Ganze hat einen ernsten Kern: Junge Menschen kommen oft nicht mehr selbst an eine eigene Wohnung. Unsere Gesellschaft löst ein zentrales Versprechen nicht mehr ein, nämlich: Wenn du dich anstrengst, in der Schule, in der Ausbildung, im Job, dann erwartet dich eines Tages ein eigenes selbstbestimmtes Leben. Dieses Aufstiegsversprechen wird nur erfüllt, wenn man Eltern hat, die einen Mietvertrag unterschreiben können. Das ist eine inakzeptable Folge der Wohnungsnot und spaltet die Gesellschaft.

Wie kann die Politik dem begegnen?

Die Mixtur aus gestiegenen Zinsen, hohen Baukosten und stetig wachsenden Vorschriften blockieren den Neubau und machen ihn zu teuer. Wir müssen runter von den Kosten, weg von 5.000 Euro je Quadratmeter, um wieder rentabel bauen zu können. Dafür gibt es drei Hebel. Erstens: Die Baukosten müssen sinken. Der Staat sollte sich überlegen, ob er an allen Auflagen festhält, die den Bau teuer machen, etwa beim Schallschutz, bei der Dämmung, bei technischen Installationen. Außerdem müssen wir beim einfachen Gebäudestandard, beim seriellen Bauen und den Typengenehmigungen endlich vorankommen. Der zweite Hebel ist die finanzielle Förderung des Neubaus, wobei ich mir da angesichts der leeren Staatskassen keine großen Hoffnungen mache.

Und der dritte Hebel?

Das ist das Mietrecht. Vielerorts gilt mittlerweile die Mietpreisbremse, die die Ampelkoalition gerade verlängert hat. Die mag gute Absichten verfolgen, ist aber sozial blind. Ich wünsche mir deshalb eine Anpassung.

Wie sollte die aussehen?

Die Mietpreisbremse sollte in meinen Augen nicht für alle Menschen und Wohnungen gleichermaßen gelten. Bislang ist es so: Menschen mit hohen Gehältern, die in Berlin ein Penthouse mieten, profitieren genauso von der Bremse wie jene mit niedrigen Löhnen, die eine kleine 2-Zimmer-Wohnung suchen. Das ist doch falsch!

Was schwebt Ihnen vor?

Die Mietpreisbremse sollte sozial gestaffelt werden, indem günstige Wohnungen mehr und teure Wohnungen weniger reguliert werden. Oder man nimmt einzelne, sehr teure Mietwohnungen von der Mietpreisbremse aus, das ginge auch. So oder so: Die Mietpreisbremse muss reformiert werden. In ihrer aktuellen Form beschädigen wir mit ihr den Markt. In Berlin etwa ist die Fluktuation auf dem Wohnungsmarkt auf unter fünf Prozent gesunken – die normale Fluktuation ist fast doppelt so hoch. Wir müssen den Markt wieder seine Ausgleichsfunktion wahrnehmen lassen.

Blicken wir abschließend noch auf die anstehenden Wahlen in Deutschland, vor allem auf die Landtagswahlen im Osten. Was denken Sie, wenn Sie die hohen Umfragewerte für die AfD sehen?

Das bereitet mir große Sorge. Unser Land baut auf gesellschaftliche Vielfalt. Deutschland wird durch Zuwanderung reicher, der Arbeitsmarkt ist auf sie angewiesen. Die Populisten aber propagieren das Gegenteil. Das ist gefährlich. Ich bin sicher: Wenn wir die Probleme der Menschen ernst nehmen und uns um Lösungen bemühen, verlieren die Populisten an Zustimmung.

Herr Buch, vielen Dank für dieses Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Rolf Buch
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